2022-09-19 bis 27 – Mal wieder durch den Osten

<- Nach Raguhn-Jeßnitz bin ich so gekommen

2022-09-19 – Von Raguhn-Jeßnitz in Richtung Polen -> Zum Lindenhof (Landvergnügen)

Gegen 10:00 Uhr beginne ich, nach meinem Frühstück, mein Lager abzubauen. Das geht eigentlich immer recht zügig. Aber dieses Mal hat sich echt einer meiner Megaheringe beim Einschlagen so verformt, dass er einfach nicht raus wollte. Eine viertel Stunde war ich mit ihm zugange. Und als ob das nicht genug wäre, nein, mein kleiner Motorroller will auch nicht mehr anspringen. Es bestätigt sich mal wieder, dass diese kleinen Batterien einfach nicht alt werden. Mal gerade fünf Jahre. Nun ja. Ich habe aber Glück im Unglück. Mein Leipziger Nachbar ist noch in Griffnähe. Er hilft mir das Vehikel in Big Blues Werkstatt zu schieben. Da hätte ich echt alt ausgesehen, wenn er schon weg gewesen wäre. Danke dafür!

Die Anmeldung beim Lindenhof war auch nicht so einfach. Die Landvergnügen Gastgeber dort haben ihren Anrufbeantworter standardmäßig mit einem Text besprochen, der ihre Kapazitäten als ausgeschöpft mitteilt. Während ich weitersuche, meldet sich aber die Gastgeberin und meint, dass es doch möglich sei und sie sich über meinen Besuch freuen würde. So starte ich frohen Mutes Richtung Görlitz nach Zschaitz-Ottewig. Mal wieder einer der Ortsnamen, der einem Wessi wie mir nicht so einfach über die Lippen kommt. Ist wohl schon der historisch sorbische Einschlag hier. Der Hof liegt zwar in einer menschlichen Ansiedlung, aber diese als Dorf zu bezeichnen wäre sicherlich „overdressed“. Ich zähle so an die zwölf Anwesen. Also genau das, was ich immer suche. Abseits von dem ganzen Mainstream. Ruhe pur und eine große Anlage von Selbstversorgergärten.

So habe ich die Hoffnung, dass ich, wenn die GastgeberIn heute Nachmittag wieder nach Hause kommen, ich meine Gemüsebestände auffüllen kann. Sollte das nicht klappen, dann könnte heute Abend eventuell Schmalhans Küchenchef sein. Na mal sehen. Jetzt erst einmal in die Sonne raus und die Gegend erkunden.

Diese kleine menschliche Ansiedlung in leicht hügeligem Ambiente besteht aus vielleicht zwölf Häusern. Die Mehrheit davon waren in früheren Zeiten jedoch größere Anwesen mit gutsähnlicher Gebäudestruktur. So klein wie dieses Örtchen ist, es hat eine Bushaltestelle mit Wetterhäuschen und „Hengstverteilungsplan“. Ein Schelm wer dabei Böses denkt.

2022-09-20 bis 2022-09-22 – Am Kühlhaus in Görlitz

Heute Morgen kommt dann noch die Gastgeberin vorbei. Ich kann ihr so noch Kartoffeln, Zwiebeln, Eier und Rote Beete abkaufen. Alles frisch aus ihrem Garten. Und sie erzählt mir von ihrem Projekt hier.

So komme ich dann so gegen 13:00 Uhr los. Teilweise über die B6 (die Heimat lässt grüßen), bei Meißen über die Elbe, ganz dicht an Dresden vorbei, durch Bautzen (übrigens schon von der Hauptstraße wirklich schöne Sachen zu sehen – das lohnt sich, hier noch einmal vorbei zu schauen) und dann immer auf eine ganz schwarze Wolke am Himmel zu. Unter ihr liegt Görlitz. Auf meiner Wetter APP hat das heute Morgen noch ganz anders ausgesehen. Nun ja.

Schon vor Görlitz werde ich von der B6 abgeleitet. Gott sei Dank. Denn auf der A4 ist mal wieder Chaos und der ganze Verkehr quält sich wieder mal über die Bundesstraße.

Neben dem, zum großen Teil stillgelegten, Bahnhof Weinhübel steht ein riesiges ehemaliges Kühlhaus. Dieses hat sich eine örtliche Initiative zu eigen gemacht und dort finden heute verschiedene Freizeit- und Kulturveranstaltungen statt. Das Gelände ist weiterhin von einigen alternativen Handwerksbetrieben besiedelt. Und darüber hinaus bietet die Initiative Kühlhaus neben Atelierappartements, Garagenhostel und Safarizelten auch einen sehr schön gelegenen Campingplatz für Wohnmobile, Gespanne und Zelte an. Hier werde ich die nächsten Tage verbringen.

Bei der Anmeldung kann ich mir noch ein Eis sichern. Bier haben die hier auch noch im Angebot. Aber davon habe ich noch selbst genug im Kühlschrank.

Heute Abend gibt es nach einem Rundgang auf dem Gelände auch mal wieder Eier zum geschmorten Gemüse als Abendmahl. Aber erst noch einmal zurück zum Rundgang. Neben den schon oben erwähnten Gebäuden und (Übernachtungs-) Möglichkeiten haben die BetreiberInnen hier auch vieles geschaffen, welches ein Zusammentreffen mit anderen Gästen – und auch Bewohnern – fördert. Eine riesige überdachte Terrasse, Sitzgruppen auf dem Gelände und im Wald, Hängematten und vieles mehr. Wenn es nicht so nass draußen wäre, dann würden diese Dinge sicherlich auch heute genutzt werden. So hänge ich hier alleine ab.

Am Tag nach meiner Ankunft, also am zweiten Tag, packe ich erst einmal mein Fahrrad aus. Dabei versuche ich meinen Roller noch einmal zu starten. Und siehe da, er springt an. So spare ich mir erst einmal den Kauf einer neuen Batterie – werde vom Prinzip Hoffnung leben und fahre erst einmal mit dem Rad ein paar Lebensmittel einkaufen. Auf dem Weg dort hin kann ich nicht übersehen, dass ich mich hier an der polnischen Grenze in einem wirtschaftlich darniederliegenden Teil Deutschlands befinde. Mitten im Ort endlose, große und leerstehende Mietwohnungsblocks, die im Erdgeschoß komplett zugemauert sind. Und im ersten Stock teilweise mit Einbruchsspuren, Vandalismus- und Brandschäden. Und das Ganze auf der einen Seite eingegrenzt von einen riesigen C&C-Edekamarkt für gewerbliche Einkäufer und auf der anderen Seite von der schimmernden Kaufland Welt. Auf dem Parkplatz sehe ich Männer, die ihren Kofferraum mit Bier, Cola und Chips beladen und dabei schon die – sicherlich nicht erste – Flasche Bier am Hals haben. Und sich danach frisch, fromm, fröhlich und frei ans Lenkrad setzen.

Anschließend versuche ich eine Freundin hier in Görlitz zu erreichen. Leider nur der Anrufbeantworter. Ich hoffe auf einen Rückruf.

Jedoch ohne diesen abzuwarten radle ich schon mal in die Stadt. Auf dem Weg dorthin auch viel Tristesse. Den Leuten hier geht es (wirtschaftlich) wirklich nicht gut. Die vorherrschende Armut lugt aus allen Ecken hervor. Auch Hoffnungslosigkeit und im Umkehrschluss die Hoffnung, bei unseren rechtsgedrehten Wutbürgern die Erlösung aus diesem Schicksal zu finden. Hier braut sich was zusammen – da stehen wir Wessis mit unseren Lebensläufen, unserem Weltbild und Erlebensschatz ratlos daneben.

Aber die Altstadt ist nach wie vor für die Touristen aufgeräumt und hübsch gemacht!

Gegen Abend trudeln am Kühlhaus doch tatsächlich noch ein paar andere Wohnmobilgäste ein. Einer hat an seinem rollenden Heim einen Anhänger, auf dem er einen original verpackten Dieselstromerzeuger, gerade in Polen gekauft, mit nach Hause nimmt. Jaja, die Panik vor dem kalten Winter treibt so ihre Blüten. Vor allem bei denjenigen, die es sich eigentlich leisten könnten, etwas mehr für Gas und Strom zu bezahlen.

Gegen 21:00 Uhr ruft meine Freundin aus Görlitz noch an. Leider wird das mit unserem Treffen hier nichts. Denn sie kommt eben gerade aus Costa Rica zurück. Und sie ist noch mit ihrem Jetlag zugange. Darüber hinaus ist mir auch schon zu spät um noch was zu unternehmen. So vertagen wir das Ganze auf das nächste Mal.

2022-09-22 – Kulturinsel Einsiedel

Heute Morgen scheint die Sonne. Nur kommt unter den hohen Bäumen hier das nicht so richtig an. Die Schattenspender, die diesen Sommer sicherlich ganz toll waren, sind zurzeit des Guten zu viel.

So dusche ich noch, entsorge meine Scheißhauskassette und fülle das Trinkwasser wieder auf. Ist übrigens alles im Stellplatzpreis enthalten!

Ich habe übrigens meinen Plan aufgegeben, über Polen nach Tschechien zu fahren (um dort 20 Paletten Kozel 10 Bier zu kaufen) aufgegeben und werde mich Richtung Norden an der Neiße und Oder entlang arbeiten. Mal sehen wie weit ich kommen werde.

So mache ich mich dann auf den Weg zur Kulturinsel Einsiedel, circa 20 Kilometer nördlich von Görlitz an der Neiße. Wenn ich mich richtig erinnere, hat ein Freund vor circa 14 Jahren uns von diesem Ort erzählt. Damals haben dort engagierte Menschen in den Bäumen an der Neiße die ersten Baumhotels (in der Ex-DDR) geschaffen. Und vor wenigen Tagen hat auch Sven mir diesen Ort empfohlen. Ebenso bei der Abreise vom Kühlhaus Weinhübel hat mir der Mensch an der Rezeption diesen Ort empfohlen als einen Platz, an dem man sich mehrere Tage aufhalten kann, wenn man sich auf ihn einlässt.

Der „Campingplatz“ der zu dieser Kulturinsel gehört, ist wunderschön. Aber für mich nicht nutzbar. Weil erstens direkt in der Einfahrt ein Baum steht, unter dem ich ohne Hilfe meiner Kettensäge nicht durchkomme und zweitens ich die 45,00 €/Nacht „ohne Alles“ doch mächtig überzogen finde. Vor allem, weil die Stellplatzgebühr noch zum Eintritt von 12,00 € in die Kulturinsel dazu kommt.

Vielleicht liegt es daran, dass ich mich einfach nur nicht auf diesen – mittlerweile zum Freizeitpark mutierten – Ort einlassen kann. Für Kinder, Kindergärten, Schulklassen und irgendwelche Kegelvereine mag das Ganze ja einen gewissen Reiz haben. Aber der Platz hat nun wirklich nichts mit Kultur von Volksgruppen, Freundschaft über Grenzen hinweg (aus diesem Programm bekommen die Betreiber von der EU-Kohle für ihren Vergnügungspark) oder archäologischen Ausgrabungen zu tun. Es handelt sich um einen Freizeitpark. Mit 12,00 € Eintritt (obwohl circa die Hälfte aller „Attraktionen“ geschlossen sind), 35,00 € beziehungsweise 45,00 € für einen Stellplatz über Nacht ein wirklich überteuertes Vergnügen.

Das auf der Neiße schwimmende Café hat leider auch schon geschlossen. Wenn es geöffnet hätte, wäre es sicherlich der schönste Platz in diesem Park. So bleibt mir nur das klammheimliche Vergnügen, an dieser Stelle mal nach Polen rüber zu gehen.

Ich bin wirklich enttäuscht und habe mich entschlossen, hier nicht zu bleiben, sondern die Neiße weiter flussab zum Ziegenhof Pusack kurz hinter Bad Muskau zu fahren.

2022-09-22 bis 2022-09-24 – Ziegenhof Pusack, ein Landvergnügen

Leider sehe ich auf der Fahrt wenig von der Neiße. Nach einer Fehlleitung durch das Navi finde ich dann den Landvergnügenhof. Er liegt direkt an der, hier recht kleinen, Neiße. Man kann zu Fuß rüber nach Polen. Ein wirklich einsam liegender Hof, auf dem noch familiäre Landwirtschaft betrieben wird. Ein Verkaufswagen steht auf dem Innenhof. Hier werde ich mich morgen über das aktuelle Käsesortiment hermachen.

Nachdem ich meinen Platz auf der Wiese bezogen habe, mache ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg entlang des Grenzflusses.

Was mir – nicht erst hier – auffällt, ist ein Knotengitterzaun, der mich schon seit Görlitz an der Neiße begleitet. Der ist für die Schweinefleischlobby von unseren Steuergeldern gebaut worden. Um die afrikanische Schweinepest nicht vom Osten nach Deutschland einwandern zu lassen. Es ist schon merkwürdig. Für die Gefährdung der Schweinebestände werden auf Kosten der Steuerzahler solche Monumentalbauwerke errichtet. Für die Schaf- und Ziegenbauern ist aber kaum Geld vorhanden, um die Herden gegen die Wölfe zu schützen.

An einem Stauwehr über die Neiße schleiche ich mich heute ein zweites Mal illegal nach Polen rüber.

Für mein Abendessen finde ich hier drei Parasolpilze und eine Marone. Die mit etwas Kürbis in der Pfanne geschmort – das wird lecker.

Big Blue wird die ganze Zeit von Flugenten umlagert. Gegen 17:00 Uhr kommen dann die Ziegen zum Melken rein. Das ist mal wieder was für mich. Die Stunde unterhalte ich mich mit den beiden recht ausführlich über ihren Betrieb. Und was sie hier wie herstellen und vermarkten. Es ist überall das gleiche: Wenn man so wunderschön abseits von Lärm und Krach lebt, ist es nicht ein Selbstläufer, seine Waren an die KundInnen bringen zu können. Die Familie hier fährt mit ihrem Verkaufswagen die Märkte der Umgebung ab und haben sich über die Jahre eine verlässliche Stammkundschaft aufgebaut. Das ist auch nicht selbstverständlich, vor allem aber nicht einfach.

Der Himmel hat jetzt komplett aufgeklart, dafür wird es ab 18:00 Uhr schon merklich frisch bis kühl. Nach dem Melken ist es Zeit rein zu gehen. Die Beiden in ihr Haus, ich in Big Blue.

Nach einer ruhigen und tief durchschlafenen Nacht wache ich mit Schmerzen im linken Knie auf. Was das wohl wieder soll? Und woher die kommen? Ist mir ein Rätsel.

Aber es wird ein wunderschöner Tag. Beim Käseeinkauf führe ich ein langes Gespräch mit zweien der Männer hier und der Chefin. Ja, die leben hier wirklich zufrieden, wo andere – wie ich ­‑ Urlaub machen. Aber für die Vermarktung ihrer Produkte – wie schon oben erwähnt – ergibt sich daraus schon ein Logistikproblem. Viel Fahrerei, um zu den Absatzmärkten in den umliegenden Städten zu gelangen.

Ich wandere heute mal, weil an meinem Fahrrad mal wieder ein Schaltzug gerissen ist, zu Fuß an der Neiße entlang und zurück durch die angrenzenden „Berge“. Dabei kann ich nicht umhin mir doch wieder ein paar Pilze, dieses Mal Steinpilze und Maronen, zu sammeln. Die wachsen hier bis auf die Wege drauf. Vier Stück werden zum Abendessen reichen.
Und sie haben gereicht.

2022-09-24 – Landleben in Markendorf bei Jüterbog

Heute Morgen ist es zwar nicht so kalt wie Gestern. Dafür aber leider wolkenbedeckt. Nach meinem Frühstück und dem Telefonat mit Heidi packe ich reisefertig und verabschiede mich von der überaus herzlichen Gastfamilie. Die haben neben dem Melken heute Morgen auch schon die Zäune der Ziegenwiese umgesteckt, damit die Tiere eine neue Weidefläche bekommen.

So fahre ich Richtung Nordwesten in die Gegend von Jüterbog. Einer Kleinstadt südwestlich von Berlin. Es geht durch schier endlose Fichten und Birkenwälder. Am Straßenrand Unmengen Parasolpilze. Aber so direkt von der Straße? Die sind mir dann doch zu belastet.

Nach circa zwei Stunden komme ich in der kleinen Waldsiedlung Markendorf an. Hier haben die Physiotherapeuten Gabriele und Manfred mitten im Wald eine kleine „Landleben“ Oase geschaffen: Schafe, Hühner, Ponys, Hunde und eine Obstbaumplantage. Neben dem Landvergnügen Stellplatz bieten sie hier auch noch Wohnwagen als Urlaubsunterkunft an.

Nachdem mich die beiden großen Hunde begrüßt haben, kommt auch Manfred mit seiner Schwester und sie begrüßen mich mit Äpfeln, die sie gerade von einem der Bäume gepflückt haben.

Nachdem ich Big Blue in einer Ecke abgestellt habe, mache ich mich erst einmal auf in den Wald. Wieder hauptsächlich Fichten, Kiefern und Birken. Und am Boden, wie sollte es anders sein, Pilze über Pilzen. Dieses Mal hauptsächlich Maronen und Birkenpilze. Diese finde ich in den Erdlöchern, die hier im ganzen Wald verteilt angelegt sind. (Später erfahre ich, dass das hier wohl mal ein Truppenübungsplatz war und in den Löchern die ehemaligen Soldaten des Arbeiter und Bauernstaates ihre Panzer und Autos vor dem imaginären Feind verbuddelt haben.) Nur bin ich heute schon recht spät dran, so sind die großen Pilze schon weggesammelt. Aber mit den Parasolpilzen, die ich auf dem Gelände meiner Gastgeber entdeckte, wird das wieder ein schönes Abendessen werden. Mal sehen, was ich heute zu den Pilzen als Beilage hinzufügen werde. Noch habe ich keinen Plan. Sind ja auch noch fünf Stunden hin.

Da meine Gastgeber zu dem Brotbackfest im Dorf gefahren sind und es dort doch länger ausgehalten haben, gibt es meine Pilze heute mit Kürbis, ein bisschen Speck, Rote Beete, Tomate und zwei verrührten Eiern. Das Ganze hat dann wieder den Charme meiner „Tortilla für Arme“ (Interessierte können das in meinen vielfältigen Reiseberichten recherchieren, was das ist).

2022-09-25 – Landvergnügen auf dem Waldhof bei Reesdorf nahe Ziesar

Nach umfangreichem Gemüseeinkauf bei meinen Gastgebern geht es wieder auf Tour. Ich komme so gegen 13:00 Uhr los.

Irgendwie ist mein heutiges Ziel doch weiter weg als gedacht. Drei Stunden, hauptsächlich wieder Fichten-, Kiefern- und Birkenwälder, komme ich immer weiter in den Westen. Schon nahe an Magdeburg ran. Aber auch sehr (!) nahe an die A2. Es sind wohl nur wenige 100 Meter bis zu dieser Tag und Nacht „lebendigen“ Magistrale.

Ich finde mich bei einer Gastgeberin wieder, die mit ihrem Mann in einer alten, größten Teils als Ruine erhaltene, Papiermühle lebt. Beide haben dieses Anwesen, es gehören einige Hektar Weiden und Wald dazu, zu einer kleinen Oase wieder hergestellt. Einen Teil der Ruine haben sie zu einem Veranstaltungsort, zurzeit vornehmlich für Jazzkonzerte im intimen Kreis, umgestaltet. Der kleine Mühlgraben ist erhalten und kann in den heißen Sommertagen auch mal als Erfrischungsbad herhalten. Der Gemüsegarten gibt auch jetzt noch einiges an Saisongemüse her. Und um mich herum wieder Pilze ohne Ende: Parasole. Aber heute esse ich mal wieder was anderes. Immer nur Pilze, das führt dann auch irgendwann zur Übersättigung und man weiß dann irgendwann diese Köstlichkeit nicht mehr zu schätzen.

So sitze ich, nach der Besichtigung der Mühle und meinem ausdauernden Spaziergang durch die angrenzenden Wälder, den Rest des Tages bis zum Sonnenuntergang – ja sie scheint noch tagsüber – auf der Wiese neben Big Blue und lese. Aus dem Telefonzellenbücherschrank habe ich mir „Die Firma“ besorgt.

Mit dem Verschwinden der Sonne hinter den Bäumen wird es, wie an den letzten Abenden, schnell frisch. So ziehe ich mich in meine rollende Behausung zurück.

2022-09-26 – Heute nur 7,8 Kilometer zum Fischereibetrieb Marx „Zum Forellenhof“

Eigentlich sollte diese Adresse nur ein Notnagel sein, falls die Übernachtung am Waldhof gestern nicht geklappt hätte. Nun ist mir jedoch von der Gastgeberin diese Fischzucht echt empfohlen worden.

So komme ich nach sehr kurzer Fahrt schon an meinem neuen Ziel in Möckern OT Wüstenjerichow (mein Gott, haben die hier Namen) an. Leider hat die Fischräucherei heute, am Montag, Ruhetag. Aber das ganze Gelände steht mir zur Verfügung und der Fischermeister nimmt sich sehr viel Zeit mir das Ganze hier zu zeigen und erklären. Spannend.

Als wieder die Sonne rauskommt, setze ich mich mit einem Stuhl auf einen der Dämme zwischen den Fischteichen und lasse das Ambiente auf mich wirken. (Hier ist die Autobahn auch wieder ein bisschen weiter weg und nicht mehr mit ihrem Hintergrundrauschen so präsent.

Nach meinem, mittlerweile obligatorischen, Waldspaziergang komme ich gerade noch rechtzeitig zurück, um mir bei dem Eiswagen, der tatsächlich immer noch unterwegs ist, eine Portion Eis zu sichern: Einen Bananasplitt. Mit richtiger Sahne – keine Sprühsahne!

Mein aktuelles Buch „Die Firma“ fesselt mich dann den Rest des Tages bis zum Sonnenuntergang. Dazu sitze ich auf einer kleiner Terrasse, die um einen Brotbackofen herum angelegt ist und einen perfekten Windschutz bietet. Mein Gastgeber kommt noch vorbei und tauscht die Chilischoten, die er zum Trocken in den Backofen gelegt hatte, gegen ein paar neue Brotteiglinge aus, die noch bis morgen gehen müssen. Dann sollen sie gebacken werden, damit sie dann am Mittwoch, wenn das Restaurant wieder aufmacht, verzehrfertig sind.

Ich spreche ihn auf seine Back- und Trocknungsaktivitäten an. Er und seine Familie trocknen für den Winter viele Kräuter und Gewürze. Zum Beispiel Brennnessel, Giersch, Chili, Pilze, Tomaten und vieles mehr. Und sie backen ihr Brot selbst. Aber all das machen sie nicht für ihre Gastronomie, sondern für sich selbst und auch als Wintervorrat. Einlagerung von Kartoffeln und Äpfeln gehören da genauso zu wie das Saften von Pflaumen, Birnen, Quitten und Äpfeln. Vieles wird auch zu Fruchtaufstrichen verarbeitet. Das habe ich bei meinen Gastgebern in der ehemaligen DDR – und je weiter ich im Osten war desto doller – erlebt: Das Sammeln und Ernten von Früchten für ihre Mahlzeiten und für das Anlegen von Wintervorräten. Das macht mir diese Menschen immer sympathischer.

2022-09-27 – Heute geht es zu meinem letzten Gastgeber auf dieser Rundtour – Hof Bode-Kirchhoff bei Meinersen

Gegen 12:00 Uhr verabschiede ich mich vom Fischer des Forellenhofes. Er lehnt meine „Landvergnügen“ Spende mit der Begründung, er hätte ja nicht geöffnet und ich hätte deswegen bei ihm ja nichts kaufen können. Und nur für den Stellplatz wollte er nichts haben. Da half auch kein gutes Zureden. So etwas gibt es auch!

Für den ersten Teil meiner heutigen Strecke fahre ich dann doch mal auf die A2. Und schon stehe ich im Stau. Und die anderen Verkehrsteilnehmer drehen auch sofort am Rad. Es ist nicht zu glauben, wie sich mache – nein viele (!) – so auf der Straße aufführen.

So verlasse ich dann auch hinter Helmstedt diese Rennbahn für Verrückte und hangele mich über Kreis-, Landes- und Bundesstraßen über Wolfsburg und Gifhorn nach Meinersen durch. Hier habe ich mir den Hof Bode-Kirchhoff als letzte Übernachtung rausgesucht. (Kleine Anmerkung: Die Familie ist mit Michael Bode-Kirchhoff aus Stuhr-Brinkum, der vor vielen Jahren dort einen Biolandhof betrieben hat, verwandt. Und Michael war vor vielen Jahren mit seinem Biohofladen einer unserer Kunden. So klein ist die Welt!)

Auf dem Hof irre ich erst einmal recht verloren herum, bis ich den Haupteingang gefunden habe. Irgendwie habe ich Hinnerk wohl gerade vom Mittagstisch geholt oder beim Mittagsschlaf gestört. Er bietet mir die verschiedensten Stellmöglichkeiten an. Ich finde die Plätze im Maislabyrinth am prickelnsten. Für den Fall, dass ich mich dort festfahre verspricht er mir, mich mit einem seiner Trecker zu retten. Aber die festgefahrenen Grasnarben tragen. Also keine Gefahr.
Ich bin gerade mit meinem Einparkaktivitäten fertig, da kommt Hinnerk schon und bringt mit ein paar Eier vorbei. Schöne bunte Eier! Ich hatte danach gefragt. Also, es gibt hier zwar keinen Brötchen-, aber einen Eierservice. Das hat doch auch was.

Wir unterhalten uns recht lange über sein Maislabyrinth bei einem Tee in Big Blue. Mich wundert, dass es immer noch aufgebaut ist und an den Wochenenden immer noch Veranstaltungen stattfinden. Überall woanders ist der Mais ja schon runtergehäckselt. Aber dieses, mit vielfältigen weiteren Freizeitaktivitäten und Verköstigung aufgewertete, Angebot ist wohl ein Betriebsteil mit nicht unerheblichem Anteil an seinem betrieblichen Einkommen. Aber ich bin froh, dass ich hier an einem Tag aufgeschlagen bin, an dem Ruhetag ist. Der Trubel wäre ja – wie ihr ja sicherlich schon mitbekommen habt – nichts für mich.

Irgendwann beordert seine Familie zurück. Er muss wohl noch was arbeiten. (Ist ja wie zu Hause. Da achtet Heidi auch immer drauf, dass ich meine Arbeit nicht vergesse.) So habe ich noch Zeit im Wald nach Pilzen zu suchen. Ist aber ganz mau. Nichts zu finden. So erkunde ich das Labyrinth. Ich finde neben dem eigentlichen Labyrinth hier ein Sauengehege und freilaufende Hühner im Mais. Eine Outdoor Modelleisenbahn, ein Tiny Haus mit Heißbadefass, ein Fahrrad- und Go-Cart Parkour und einiges mehr. Und überall Sitzecken zum Verweilen und um sich mit (auch mitgebrachtem) Essen zu stärken. Für Familien mit Kindern bestimmt ein schönes Wochenenderlebnis.

Irgendwann fängt es an zu regnen. Erst ein bisschen, dann immer mehr. So ziehe ich mich in Big Blue zurück und schreibe diesen Reisebericht zu Ende. Denn ab morgen habe ich dann erst einmal kaum noch Zeit dafür. Dann holt mich erst einmal der Alltag wieder ein.

Und jetzt mache ich mir ein Bier auf. Habt auch eine gute Zeit!